Es gibt zahlreiche Fälle, in denen Eltern zunächst irrtümlich davon ausgegangen sind, für ihr Kind kein Kindergeld zu erhalten. Zwar können sie den Antrag auf Kindergeld auch noch nachträglich stellen, doch wird die staatliche Leistung dann nur für die letzten sechs Monate gezahlt.
Der Gesetzgeber hatte diesbezüglich zum 1.1.2018 eine – umstrittene – Vorschrift ins Kindergeldrecht eingeführt, und zwar § 66 Abs. 3 EStG, die allerdings mit Wirkung zum 18.7.2019 wieder modifiziert worden ist. Jedenfalls ist eine ganze Reihe von Fällen streitig, bei den etwa im Jahre 2018 das Kindergeld rückwirkend für das ganze Jahr 2017 beantragt worden ist. Die Familienkassen haben dann das Kindergeld oftmals zwar für das ganze Jahr 2017 festgesetzt, aber nur für sechs Monate ausgezahlt.
Doch nun erhalten die betroffenen Eltern Hilfe vom Bundesfinanzhof. In wenigen Worten ausgedrückt lautet sein Urteil: Wenn Kindergeld festgesetzt wird, ist es auch auszuzahlen (BFH-Urteil vom 19.2.2020, III R 66/18).
Der Sachverhalt: Der Kläger ist der Vater einer im Februar 1997 geborenen Tochter. In einem bereits 2015 gestellten Antrag gab der Kläger an, dass seine Tochter ab September 2015 eine Ausbildung zur Erzieherin aufnehmen wolle. Die Familienkasse setzte daraufhin zunächst Kindergeld fest, hob die Kindergeldfestsetzung aber im Juli 2015 mangels Vorlage eines Ausbildungsnachweises wieder auf. Mit einem dann erst im April 2018 bei der Familienkasse eingegangenen Antrag begehrte der Kläger erneut Kindergeld, dieses Mal sogar bereits für den Zeitraum ab August 2015. Die Familienkasse setzte in einem Bescheid vom April 2018 laufendes Kindergeld ab dem Monat August 2015 fest. Die Nachzahlung von Kindergeld beschränkte sie jedoch auf den Zeitraum von Oktober 2017 bis April 2018 (= sechs Monate).
Das Finanzgericht gab der dagegen gerichteten Klage statt und erkannte einen Nachzahlungsanspruch auch für die Monate August 2015 bis September 2017 an. Der BFH stimmt der Vorinstanz zu. Da die Familienkasse im Streitfall das Kindergeld über den Sechs-Monats-Zeitraum hinaus rückwirkend festgesetzt hatte, hielt sie der BFH auch für verpflichtet, das Kindergeld in diesem Umfang an den Kläger auszuzahlen.
Praxistipp: Seit dem 18.7.2019 sind die rückwirkende Festsetzung und Auszahlung des Kindergeldes klarer geregelt. § 66 Abs. 3 EStG wurde aufgehoben, dafür heißt es nun in § 70 Abs. EStG: „Die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld erfolgt rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist.“ Nun wird das Kindergeld also, selbst wenn es für ein ganzes Jahr rückwirkend festgesetzt wird, tatsächlich nur für die letzten sechs Monate ausgezahlt. Im Gegenzug werden nun aber wenigstens die kindbedingten Vergünstigungen in der Steuererklärung gewährt, wenn das Kindergeld nicht ausgezahlt wurde. Dies wiederum ergibt sich aus einer Gesetzesänderung des § 31 EStG. Zugegeben: Leicht verständlich ist das nicht und selbst Experten beißen sich zuweilen an dem Zusammenspiel der unterschiedlichen Paragrafen des Kinder-geldrechts die Zähne aus.