Kurz vor Weihnachten hat der Europäische Gerichtshof ein Urteil gefällt, das zwar zur Tätigkeit von Verwaltungsräten in Luxemburg ergangen ist, aber auch für Aufsichtsratsmitglieder deutscher Kapitalgesellschaften große Bedeutung haben kann. Vereinfacht gesagt gilt nach dem Urteil, dass hohe Tantiemen allein keine Unternehmereigenschaft von Aufsichts- und Verwaltungsräten begründen können und deren Vergütungen mitunter nicht der Umsatzsteuer unterliegen (EuGH-Urteil vom 21.12.2023, C‑288/22).
Zum Hintergrund: Mit Urteil vom 27.11.2019 (V R 23/19, V R 62/17) hatte der BFH entschieden, dass das Mitglied eines Aufsichtsrats nicht als Unternehmer tätig ist, wenn es aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko trägt. Mit Schreiben vom 8.7.2021 (BStBl 2021 I S. 919) und vom 29.3.2022 (BStBl 2022 I S. 567) hatte das Bundesfinanzministerium die grundsätzliche Anwendung des BFH-Urteils verfügt und folgende Mindestgrenze eingeführt: Besteht die Vergütung des Aufsichtsratsmitglieds sowohl aus festen als auch variablen Bestandteilen, ist es – umsatzsteuerlich – als Unternehmer anzusehen, wenn die variablen Bestandteile im Geschäftsjahr der Gesellschaft mindestens zehn Prozent der gesamten Vergütung, einschließlich erhaltener Aufwandsentschädigungen, betragen.
Der EuGH ist der Ansicht, dass die Partizipation am Gewinn der Gesellschaft nicht mit der Tragung eines eigenen Gewinn- und Verlustrisikos eines Verwaltungsratsmitglieds gleichgesetzt werden kann. Im zugrundeliegenden Fall war der Kläger Mitglied des Verwaltungsrats mehrerer Aktiengesellschaften nach luxemburgischem Recht und nahm in diesem Rahmen unterschiedliche Aufgaben wahr. Diese bestanden insbesondere darin, Berichte von Führungskräften oder Vertretern der betreffenden Gesellschaften entgegenzunehmen, strategische Vorschläge, Entscheidungen der operativen Führungskräfte, Probleme im Zusammenhang mit der Rechnungslegung dieser Gesellschaften und ihrer Tochtergesellschaften sowie die für sie bestehenden Risiken zu erörtern. Gegebenenfalls arbeitete er an der Ausarbeitung der Entscheidungen mit, die anschließend die Vertreter der betreffenden Gesellschaften treffen mussten. Die luxemburgische Finanzverwaltung erließ aufgrund der genannten Tätigkeiten einen Mehrwertsteuerbescheid für das Jahr 2019. Hiergegen wandte sich der Kläger und machte geltend, dass die Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht keine wirtschaftliche Tätigkeit darstelle bzw. keine Unternehmereigenschaft begründen könne. Der EuGH tendiert dazu, die Tätigkeit des Klägers – trotz der Tantiemezahlungen – als nichtunternehmerisch einzustufen. Allerdings ist es letztlich Sache des nationalen Gerichts, endgültig zu entscheiden.
Praxistipp:
Es bleibt zwar abzuwarten, wie das nationale Gericht im Luxemburg entscheiden und wie die deutsche Finanzverwaltung auf das Urteil reagieren wird. Es besteht aber Grund zu der Annahme, dass die oben erwähnte Zehn-Prozent-Grenze nicht zu halten sein wird und vielmehr individuell zu prüfen ist, ob das Aufsichtsratsmitglied einer deutschen Aktien- oder einer anderen Kapitalgesellschaft als Unternehmer anzusehen ist oder nicht. Die Höhe der Tantieme ist jedenfalls für sich genommen kein geeignetes Kriterium für diese Prüfung.