Zuweilen rechnet ein Unternehmer über eine eigentlich steuerfreie Leistung mit Umsatzsteuer ab oder weist in ei-ner Rechnung 19 Prozent Umsatzsteuer aus, obwohl nur der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent anzuwenden gewesen wäre. Nach bisheriger Auffassung der deutschen Finanzverwaltung und auch des Bundesfinanzhofs wird aber die Steuer, die in der Rechnung ausgewiesen wird, geschuldet, auch wenn diese zu hoch ist. Der inso-weit maßgebende
§ 14c Abs. 1 UStG sei unmissverständlich. Erst wenn die Rechnung berichtigt wird, ermäßigt sich die Steuer wie-der. Allerdings ist eine solche Rechnungsberichtigung mitunter gar nicht möglich, zum Beispiel, wenn eine Leis-tung an unzählige Endverbraucher erbracht wurde, deren Namen gar nicht bekannt sind.
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 8.12.2022 (C-378/21) entschieden, dass ein Steuerpflichtiger den zu Unrecht in Rechnung gestellten Teil der Mehrwertsteuer nicht schuldet, wenn keine Gefährdung des Steuerauf-kommens vorliegt. Dies ist der Fall, wenn eine Leistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Das Urteil ist zwar zu einem Verfahren aus Österreich ergangen, hat aber darüber hinaus Bedeutung. Nunmehr hat das Bundesfinanzministerium die Anwendung des EuGH-Urteils in Deutschland verfügt (BMF-Schreiben vom 27.2.2024, III C 2 -S 7282/19/10001 :002). Danach gilt:
Wenn ein Unternehmer eine Lieferung oder eine sonstige Leistung tatsächlich ausgeführt und hierüber eine Rechnung mit einem unrichtigen Steuerausweis an einen Endverbraucher gestellt hat, entsteht keine Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG. Dies gilt entsprechend auch für einen unberechtigten Steuerausweis durch Kleinunternehmer (§ 14c Abs. 2
Satz 1 UStG). Das Unionsrecht hat hier Vorrang vor deutschem Recht. Die Tatsache, dass die fragliche Rechnung an einen Endverbraucher ausgestellt worden ist, ist allerdings durch den Unternehmer glaubhaft darzulegen bzw. plausibel zu begründen.
In Mischfällen, in denen die Rechnungen mit falschem Steuerausweis sowohl an Endverbraucher als auch an Un-ternehmer für deren unternehmerischen Bereich erteilt wurden, sind die Grundsätze des EuGH-Urteils nur bezüg-lich der durch den Unternehmer belegten Rechnungserteilungen an Endverbraucher anzuwenden. Soweit nicht hinreichend sicher beurteilt werden kann, ob die Rechnungsempfänger als Unternehmer oder als Endverbraucher gehandelt haben, sind die Grundsätze des EuGH-Urteils nicht anzuwenden. Insbesondere kann in diesen Fällen weder eine Schätzung des Anteils der betroffenen Umsätze oder der an Endverbraucher ausgestellten Rechnun-gen noch eine Wahrscheinlichkeitsberechnung oder Ähnliches erfolgen. Bei der Beurteilung, ob der Leistungsbe-zieher als Endverbraucher gehandelt hat und daher keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, kann aber die Art der Leistung berücksichtigt werden. Leistungen, die ihrer Art nach mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für das Unternehmen, sondern für den privaten Gebrauch bestimmt sind, enthält beispielsweise der Katalog des Ab-schnitts 3a.2 Abs. 11a UStAE. Darunter fallen unter anderem ärztliche Heilbehandlungen, Nachhilfeunterricht für Schüler oder Studierende, Beratungsleistungen in familiären und persönlichen Angelegenheiten. Der Katalog ist aber unbeachtlich, wenn im Einzelfall doch feststeht, dass die Leistung nicht an einen Endverbraucher erbracht worden ist.
Soweit nach den Grundsätzen des genannten EuGH-Urteils aufgrund einer Rechnungserteilung an Endverbrau-cher keine Steuer nach § 14c Abs.1 UStG entstanden ist, bedarf es aus umsatzsteuerlicher Sicht auch keiner Be-richtigung des fraglichen Steuerbetrages, also keiner Rechnungsberichtigung.
Das EuGH-Urteil kann nicht auf Fälle übertragen werden, in denen die fragliche Rechnung an einen Unternehmer für dessen unternehmerischen Bereich erteilt worden ist. Dabei ist es für die Entstehung der Steuerschuld nach
§ 14c UStG unerheblich, ob und gegebenenfalls inwieweit tatsächlich ein Vorsteuerabzug vorgenommen worden ist.
Praxistipp:
Wer die Umsatzsteuer als Privatperson unberechtigt ausgewiesen oder aber eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis erteilt hat, obwohl gar keine Leistung erbracht wurde, schuldet die Umsatz-steuer nach § 14c Abs. 2 UStG. Hier greift die Neuregelung nicht. Unabhängig davon bleiben trotz des BMF-Schreiben noch viele Praxisfragen offen, etwa wie der Nachweis zu führen ist, dass eine Leistung tatsächlich ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurde. Es wird daher sicherlich noch weitere Gerichtsverfahren geben. Ein Verfahren ist derzeit bereits beim Bundesfinanzhof un-ter dem
Az. V R 16/23 anhängig (Vorinstanz: FG Köln, Urteil vom 25.7.2023, 8 K 2452/21).