Mit dem Abzug der Kapitalertragsteuer von 25 Prozent an der Quelle ist die Einkommensteuer auf Kapitalerträge grundsätzlich abgegolten. Anleger können ihre Kapitalerträge aber auch in die Veranlagung zur Einkommensteuer einbeziehen und beantragen, diese dann zum individuellen Steuersatz zu versteuern.
Zuweilen unterbleibt der Antrag auf Günstigerprüfung, weil Anleger aufgrund ihrer – zunächst – hohen Einkünfte und eines entsprechend hohen Steuersatzes davon ausgehen, dass dieser ohne Bedeutung gewesen wäre. Doch es gibt Fälle, in denen sich im Nachhinein herausstellt, dass der Antrag doch sinnhaft gewesen wäre. Zwar gilt der Grundsatz, dass der Antrag nicht mehr nachgeholt werden kann, wenn der Steuerbescheid bestandskräftig ergangen ist. Doch zumindest in bestimmten Fällen gibt es einen Silberstreif am Horizont.
Der Bundesfinanzhof hat nämlich entschieden, dass ein Antrag auf Günstigerprüfung auch nach Eintritt der Bestandskraft gestellt werden kann, wenn ein Steuerbescheid geändert wird und nun erstmals erkennbar wird, dass die Versteuerung der Kapitalerträge zum individuellen Steuersatz günstiger ist als mit dem Abgeltungssteuersatz (BFH-Urteil vom 14.7.2020, VIII R 6/17).
Der Sachverhalt: Eheleute hatten in ihrer Einkommensteuererklärung 2010 zwar Kapitaleinkünfte angegeben, jedoch keinen Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG gestellt. Hierzu bestand aufgrund der Höhe der Einkünfte kein Anlass, da der Abgeltungssteuersatz von 25 Prozent erheblich unter dem individuellen Steuersatz lag. Doch rund zwei Jahre später, also weit nach der Bestandskraft des Bescheides, erließ das Finanzamt einen geänderten Bescheid. Es stellte sich heraus, dass dem Ehemann Einkünfte aus einer Beteiligung zuzurechnen waren, die deutlich unter dem ursprünglich angesetzten Betrag lagen. Da sich nun eine Besteuerung der Kapitalerträge mit dem individuellen Steuersatz lohnte, stellten die Eheleute den Antrag auf Günstigerprüfung nachträglich. Dies ist auch zulässig – so der BFH.
Die Begründung findet sich tief im steuerlichen Verfahrensrecht: Der Erlass eines geänderten Steuerbescheides, der nun erstmals eine Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG (Günstigerprüfung) sinnvoll macht, gilt als so genanntes rückwirkendes Ereignis. Und bei derartigen Fällen erlaubt die Abgabenordnung, konkret der § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO in Verbindung mit § 351 AO, eine nachträgliche Antragstellung.
Praxistipp:
Um Missverständnisse zu vermeiden: Das Gesagte gilt nicht für die Veranlagungsoption bei unternehmerischen Beteiligungen an GmbHs und AGs. Hier ist der Antrag spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung für das jeweilige Jahr zu stellen (BFH-Urteil vom 28.7.2015, VIII R 50/14). Dieser Antrag kann auch nicht nachträglich gestellt werden (BFH-Urteil vom 14.5.2019, VIII R 20/16).