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Aussetzung der Vollziehung: Zinssatz von 6 Prozent p.a. verfassungswidrig?

Wer gegen einen Steuerbescheid Einspruch einlegt oder gar Klage erhebt, muss die festgesetzte Steuer zunächst zahlen. Allerdings kann ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt werden, dem bei „ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids“ stattzugeben ist. Dies bedeutet, dass die Steuer zunächst nicht entrichtet werden muss. Die Aussetzung der Vollziehung hat jedoch einen Haken: Bleiben Einspruch oder Klage endgültig ohne Erfolg und muss die Steuer dann „nachträglich“ doch gezahlt werden, sind für die Dauer der Aussetzung Zinsen zu zahlen, und zwar 0,5 Prozent pro Monat (Aussetzungszinsen, § 237 i.V.m. 238 Abs. 1 Satz 1 AO).

Der Bundesfinanzhof hält den Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat bzw. 6 Prozent pro Jahr für die Aussetzungszinsen für verfassungswidrig. Er hat daher mit Beschluss vom 8.5.2024 (VIII R 9/23) das Bundesverfassungsgericht angerufen. Im Streitfall hatte der Kläger seinen Einkommensteuerbescheid 2012 angefochten. Dessen Vollziehung setzte das Finanzamt aus. Die Klage war erfolglos. Aussetzungszinsen von 0,5 Prozent wurden für 78 Monate festgesetzt, unter anderem für den Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021. Der Kläger wandte sich gegen die Zinsfestsetzung. Nach Auffassung des BFH verstößt ein Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat für die Aussetzungszinsen im Zeitraum vom 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase ist der gesetzliche Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen. Zudem werden Steuerpflichtige, die Aussetzungszinsen nach einem verlorenen Einspruchs- oder Klageverfahren schulden, und Steuerpflichtige, die „nur“ Nachzahlungszinsen aufgrund einer Steuernachforderung entrichten müssen, ungleich behandelt. Denn Nachzahlungszinsen werden seit dem 1.1.2019 lediglich mit einem Zinssatz von 0,15 Prozent für jeden Monat, also 1,8 Prozent p.a., berechnet. Auch diese Zinssatzspreizung ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt (Quelle: BFH, PM vom 22.8.2024).

Praxistipp:
Mit Beschluss vom 8.7.2021 (1 BvR 2237/14) hat das Bundesverfassungsgericht die Höhe der Zinsen auf Steuernachzahlungen (und auch auf Steuererstattungen), die so genannte Vollverzinsung, für verfassungswidrig erklärt. Auch hier wurden früher Zinsen in Höhe von 6 Prozent p.a. festgesetzt. Die Verfassungshüter halten den Zinssatz zwar seit dem 1.1.2014 für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG, doch der Gesetzgeber musste erst zum 1.1.2019 reagieren. Seitdem werden lediglich 1,8 Prozent p.a. erhoben. Die Entscheidung aus Karlsruhe erstreckte sich aber nicht auf die Aussetzungszinsen und andere „Teilverzinsungstatbestände“.