Die Grundsteuerreform erhitzt die Gemüter, da viele Immobilienbesitzer befürchten, ab dem 1. Januar 2025 höhere Grundsteuern zahlen zu müssen als bislang. Zahlreiche Bürger haben daher die Feststellungen ihrer Grundsteuerwerte angefochten und einige haben sogar Klage erhoben. Zwei Betroffene haben nun beim Bundesfinanzhof einen Etappensieg errungen, wenn auch jeweils nur in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Der BFH hat entschieden, dass Steuerpflichtige im Einzelfall unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit haben müssen, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Da deswegen bereits Zweifel an der Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte bestanden, war vom BFH nicht mehr zu prüfen, ob die neue Grundsteuer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln bezüglich der zugrundeliegenden Bewertungsregeln unterliegt (BFH-Beschlüsse vom 27.5.2024, II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV)).
In beiden Streitfällen hatten die Antragsteller beim Finanzgericht erfolgreich beantragt, die Grundsteuerwertfeststellungen für ihre Wohnimmobilien von der Vollziehung auszusetzen. Die angefochtenen Bescheide waren auf der Grundlage der Neuregelung des Grundsteuer- und Bewertungsrechts durch das Grundsteuer-Reformgesetz vom 26.11.2019 ergangen (so genanntes Bundesmodell), das in mehreren Bundesländern Anwendung findet. Danach wird die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, die ab dem 1. Januar 2025 von den Gemeinden erhoben wird, durch Feststellung des Grundsteuerwerts auf den 1. Januar 2022 als einheitlichen Hauptfeststellungsstichtag ermittelt. Die für die Feststellung des Grundsteuerwerts maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften enthalten nach der gesetzgeberischen Konzeption aus Gründen der Automatisierung und Bewältigung der Neubewertung von über 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten eine Vielzahl von Typisierungen und Pauschalierungen.
Das Finanzgericht hatte ernstliche Zweifel sowohl an der einfachrechtlichen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Grundsteuerwertbescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der Bewertungsvorschriften und gewährte deshalb die beantragte Aussetzung der Vollziehung. Die gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts erhobenen Beschwerden des Finanzamts hat der BFH in seinen Beschlüssen als unbegründet zurückgewiesen. Nach Auffassung des BFH bestehen bereits einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitigen Grundsteuerwertfeststellungen in Bezug auf die Höhe der festgestellten Grundsteuerwerte. Diese Zweifel ergäben sich daraus, dass den Steuerpflichtigen bei verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen, auch wenn der Gesetzgeber einen solchen Nachweis nicht ausdrücklich geregelt habe. Der Gesetzgeber verfüge gerade in Massenverfahren der vorliegenden Art über einen großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum. Das Übermaßverbot könne jedoch verletzt sein, wenn sich der festgestellte Grundsteuerwert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweise. Dies setze nach der bisherigen Rechtsprechung zu anderen typisierenden Bewertungsvorschriften voraus, dass der festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 Prozent oder mehr übersteige.
In beiden Streitfällen kam der BFH zu dem Ergebnis, es sei bei summarischer Prüfung nicht auszuschließen, dass die Antragsteller jeweils aufgrund einzelfallbezogener Besonderheiten den erfolgreichen Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ihrer Grundstücke mit der erforderlichen Abweichung zu den festgestellten Grundsteuerwerten führen könnten. Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden (Quelle: BFH, Pressemitteilung vom 13.6.2024).
Praxistipp:
Wie oben erwähnt ging es um die Feststellung der Grundsteuerwerte nach dem so genannten Bundesmodell. Dieses wenden an: Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen und das Saarland.
Praxistipp:
Bayern und Baden-Württemberg wenden das Bundesmodell nicht an. Hier werden die Grundsteuerwerte nach vereinfachten Verfahren ermittelt. Sowohl das FG Baden-Württemberg als auch das FG Nürnberg haben gegen die vereinfachten Verfahren keine verfassungsrechtlichen Bedenken (FG Baden-W., Urteile vom 11.6.2024, 8 K 2368/22 und 8 K 1582/23; FG Nürnberg, Beschluss vom 8.8.2023, 8 V 300/23). Allerdings ist hier das letzte Wort sicherlich noch nicht gesprochen. Es ist davon auszugehen, dass der BFH und gegebenenfalls eines Tages das Bundesverfassungsgericht abschließend entscheiden müssen.