Aufwendungen für alternative Heilmethoden, die wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt sind, können nur ausnahmsweise als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden. Dazu muss die medizinische Notwendigkeit der Behandlung durch ein amtsärztliches Attest oder eine Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen nachgewiesen werden. Wichtig: Das Attest muss bereits vor Beginn der Behandlung eingeholt werden. Die Finanzgerichte urteilen hier regelmäßig sehr streng. Auch das Niedersächsische Finanzgericht hat soeben in diesem Sinne entschieden. Im zugrundeliegenden Fall ging es um Aufwendungen für eine so genannte Tomatis-Therapie (Urteil vom 11.6.2020, 9 K 182/19).
Der Sohn litt an einer Hyperakusis, das heißt einer krankhaften Überempfindlichkeit gegen Schall. Auf Vorschlag des behandelnden HNO-Arztes ließen die Kläger zur Behandlung der Hyperakusis eine Hörtherapie nach Tomatis bei einem entsprechenden Institut durchführen. Nach der Behandlung bescheinigte der HNO-Arzt den Erfolg der Therapie. Da weder Krankenkasse noch Beihilfestelle zur Kostenübernahme bereit waren, machten die Kläger die Kosten von über 4.000 Euro als außergewöhnliche Belastungen geltend. Da die Kläger jedoch weder ein vor Beginn der Therapie ausgestelltes amtsärztliches Gutachten noch eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vorlegen konnten, lehnte das Finanzamt die steuerliche Berücksichtigung ab.
Nach Auffassung des Finanzgerichts handelt es sich bei der Tomatis-Therapie um eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode, bei der zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der Heilbehandlungskosten ein qualifizierter Nachweis in Form eines vor Beginn der Therapie ausgestellten amtsärztlichen Gutachtens oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung erforderlich ist (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1f EStDV). Es stützt sich dabei im Wesentlichen auf eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Die Gesellschaft hatte an frühere Stellungnahmen angeknüpft und war zu dem Ergebnis gekommen, dass es bis zum Streitjahr 2017 und darüber hinaus bis heute keine relevanten wissenschaftlichen Arbeiten dazu gibt, ob die Tomatis-Therapie zur Behandlung speziell einer Hyperakusis geeignet ist.
Daraus schloss das Finanzgericht, dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute diese Behandlungsmethode nicht befürwortet und über die Zweckmäßigkeit der Therapie kein Konsens besteht. Zudem gebe es über Qualität und Wirksamkeit der Methode keine zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen. Der Erfolg der Therapie lasse sich im Ergebnis nicht aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Tomatis-Therapie in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sei.
Praxistipp:
Wer eine alternative Heilmethode wählt, deren Kosten nicht von der Krankenkasse ersetzt werden, sollte sich sehr frühzeitig um ein amtsärztliches Gutachten oder um eine ärztliche Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung bemühen. Zu bestätigen ist die die „Zwangsläufigkeit der Aufwendungen“. Es ist aber zu berücksichtigen, dass sich die Kosten selbst bei Vorlage eines entsprechenden Nachweises nur nach Abzug einer zumutbaren Eigenbelastung auswirken.