Wer als Unternehmer umsatzsteuerpflichtige Umsätze tätigt, darf seinerseits die Umsatzsteuer für Eingangsleistungen als Vorsteuer abziehen. Leider gibt es manchmal Fälle, in denen sich erst nach Jahren herausstellt, dass der Leistende die Umsatzsteuer nicht oder nicht in der entsprechenden Höhe hätte ausweisen dürfen. Das Finanzamt verlangt dann vom Leistungsempfänger die bereits erstattete Vorsteuer ganz oder teilweise zurück, wenn die jeweiligen Steuerfestsetzungen noch änderbar sind. Grundsätzlich steht dem Leistungsempfänger in der Folge ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Leistenden zu, der zivilrechtlich geltend zu machen ist. Doch wenn der Leistende nicht mehr auffindbar oder insolvent ist, geht der Erstattungsanspruch ins Leere. Folge: Die Vorsteuer ist verloren.
Für derartige Fälle hat der Europäische Gerichtshof schon vor langer Zeit geurteilt, dass der benachteiligte Unternehmer die Vorsteuer von seinem Finanzamt zurückverlangen kann. Man spricht hier von dem so genannten Direktanspruch gegen den Fiskus. Das heißt: Wenn der Leistungsempfänger seinen Vorsteueranspruch ohne Verschulden verloren und diesen vom Leistungserbringer nicht mehr zurückfordern kann, soll ein unmittelbarer Anspruch gegen das Finanzamt bestehen. Schließlich hat das Finanzamt ja bereits die Umsatzsteuer für die damalige Leistung vereinnahmt und erleidet keinen Schaden, wenn es die Vorsteuer auszahlt – vorausgesetzt natürlich, dass der Leistende die Umsatzsteuer ans Finanzamt gezahlt hatte (EuGH-Urteil vom 15.3.2007, C-35/05).
Nunmehr hat das Bundesfinanzministerium zu dem EuGH-Urteil und der nachfolgenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Stellung bezogen (BMF-Schreiben vom 12.4.2022, BStBl 2022 I S. 655). Kurz gefasst: Zwar verkündet das BMF die grundsätzliche Anwendung der Rechtsprechung, stellt in der Folge aber sehr hohe Hürden auf. So muss gesichert sein, dass ein Anspruch aufgrund eines abgeschlossenen Insolvenzverfahrens oder mangels Masse abgelehnten Insolvenzantrages tatsächlich nicht beim Leistenden geltend gemacht werden kann. Dann ist beim Finanzamt ein Antrag auf Erlass einer Billigkeitsregelung nach §§ 163, 227 AO zu stellen.
Praxistipp:
Die Möglichkeit des Direktanspruchs, also des Antrags auf Erlass einer Billigkeitsregelung, kann als letzter Rettungsanker genutzt werden, wenn der Zivilrechtsweg gegenüber dem Leistenden ausgeschöpft ist oder zumindest keinerlei Aussicht auf Erfolg hat. Betroffene sollten sich aber darauf einstellen, dass sich das Entgegenkommen ihres Finanzamts trotz allem in engen Grenzen halten wird. Dafür spricht allein schon die Tatsache, dass das BMF-Schreiben erst 15 Jahre nach dem EuGH-Urteil ergangen ist. Hinzuweisen ist noch darauf, dass sich der EuGH bald erneut mit dem Direktanspruch befassen muss. Im zugrundeliegenden Fall hatte der Leistende gegenüber dem Leistungsempfänger eine zu hohe Umsatzsteuer (19 statt 7 Prozent) ausgewiesen. Letzterem wurde später ein Teil des Vorsteuerabzugs gestrichen, doch vom Leistenden konnte er diesen zivilrechtlich nicht zurückfordern, da dieser die Einrede der Verjährung geltend gemacht hat. Der EuGH soll klären, ob nun ein Direkt-anspruch gegen das Finanzamt besteht (Beschluss FG Münster vom 27.6.2022, 15 K 2327/20 AO).